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Wie umgehen mit den Sorgen junger Menschen? – Impulse für Beratende und Bildungsakteure

Aktualisiert: 28. Juni

Ein persönlicher Blick von Thomas von Krafft


Heute mal ein Thema, das viele in der Beratung wahrscheinlich lieber links liegen lassen würden – weil es komplex, unübersichtlich und schwer greifbar ist: die Sorgen junger Menschen.

Ich meine damit nicht die üblichen Orientierungslosigkeiten wie: „Soll ich BWL oder Sozialarbeit studieren?“ – sondern echte, reale, aktuelle, tief sitzende Zukunftsängste. Und ja: Die gibt es. Vielleicht mehr denn je.

Ich berate seit vielen Jahren junge Menschen – und ich sehe: Ihre Fragen haben sich verändert. Heute sind es weniger Fragen nach dem „Was will ich werden?“, sondern eher: „Wofür soll ich mich entscheiden, wenn eh alles wackelt. Was macht Sinn?“

 

Was genau macht jungen Menschen 2025 Sorgen?

 

Ich habe mir die aktuellen Studien mal genau angeschaut und versucht, die fünf größten Sorgen und Ängste 2025 zu identifizieren – von Simon Schnetzer, UNICEF, Barmer, Pisa, Shell & Co. Die aktuell größten Themen sind:

 

1. Politische und gesellschaftliche Unsicherheit

Vertrauen in die Regierung? Nur 12 % sagen: ja. Das ist natürlich nur eine jeweils subjektive Momentaufnahme, aber sie ist real und spielt eine Rolle. Fast zwei Drittel der Jugendlichen sehen die Zukunft Deutschlands und der Welt pessimistisch. Und wer pessimistisch denkt, plant selten mutig und frei.

 

2. Psychische Belastung

Stress, Selbstzweifel, Erschöpfung: Fast jede und jeder Zweite fühlt sich mental belastet, aber nur jeder und jede Achte nimmt Hilfe in Anspruch. Was machen sie mit ihren Ängsten und Zweifeln? Wo machen diese sich bemerkbar? Das sind Zahlen, die uns in der Beratung nicht egal sein dürfen.

 

3. Strukturelle Sorgen: Armut, Schule, soziale Gerechtigkeit

Bildung? Hier wird individuelle Förderung vermisst.

Wohnraum? Vielerorts extrem teuer. Macht Sorgen und wird als belastend empfunden.

Zukunft? Ungewiss. (Zu) Viele unkalkulierbare Konflikte und Krisen. 93 % sehen Kinderarmut als echtes Problem. Viele glauben nicht mehr, dass sich noch viel bewegt. Tja, ob es uns gefällt oder nicht, so sieht es aus.

 

4. Digitale Überforderung

Die digitale Welt ist gleichzeitig wichtiger, täglicher Lebensraum und permanente Belastung. Social Media erzeugt Druck, aktiv und „gut drauf“ zu sein, Cybermobbing stellt eine permanente potenzielle Bedrohung dar, trifft tatsächlich jede und jeden sechsten jungen Menschen, und das Erkennen von Fake News klappt nur bei der Hälfte (!), was mich wirklich immer wieder erstaunt, obwohl ich mich viel damit beschäftige. In vielen digitalen Bereichen sind die Mädels und Jungs doch so unglaublich fit.

 

5. Weltkrisen-Angst: Krieg & Klima

Krieg in Europa und dem Rest der Welt, Umweltkatastrophen, brennende Wälder, wachsende Unsicherheit: Mehr als 80 % machen sich Sorgen um globale Konflikte.Wer das Gefühl hat, die Welt „geht sowieso den (nitratbelasteten oder ausgetrockneten) Bach runter“, tut sich schwer mit langfristigen Lebensentscheidungen. Wo ist da Platz für Träume und Visionen?

 

Was bedeutet das für unsere professionelle Beratung?


Diese Ängste wirken wie eine versteckte Handbremse:

  • Sie machen unentschlossen

  • Sie blockieren Entscheidungskraft

  • Sie verhindern echte Selbstwirksamkeit

 

Gerade in der Berufs- oder Studienberatung spüren wir das:

  • Gute Ideen zünden und motivieren nicht.

  • Klienten und Klientinnen nicken, bleiben aber taten- und kraftlos.

  • Zukunftspläne wirken irgendwie hohl und fehl am Platze.

 

Zehn Impulse für die Praxis

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

sorry für die Düsternis dieses Artikels, aber es geht diesmal halt um die Sorgen und Ängste 😢. Das ist für unsere Arbeit sehr wichtig, wie ich finde.

Versprochen und ernst gemeint: Ich mache bald einen Artikel darüber, in was für einer wunderbaren Welt wir leben und welch fantastische Möglichkeiten sie bietet 😃.

 

Was hilft? Hier meine Empfehlungen – praxisnah, realistisch und menschlich

 

  1. Sorgen benennen

    Frage aktiv danach: „Was macht dir im Moment Sorgen?“ Du wirst überrascht sein, was da kommt – und wie erleichternd das ist.

  2. Nicht therapieren – aber wertschätzen und ernst nehmen

    Viele Beratende sind keine Psychologen und Sozialpädagoginnen, können aber trotzdem Halt geben. Kleine Tools wie Atemübungen, Visualisierungen oder das Gefühl „Ich werde gesehen, da ist jemand für mich da“ wirken oft Wunder.

  3. Sinn statt Sicherheit betonen

    Nicht der sichere Beruf zählt, sondern der bedeutsame. Gerade in Krisenzeiten brauchen junge Menschen Berufe, mit denen sie etwas bewegen und bewirken können.

  4. Struktur geben – aber flexibel bleiben

    Gerade bei Überforderung helfen kleine Schritte, klare, nachvollziehbare, erreichbare Etappen, aber mit viel Freiraum zum Umplanen.

  5. Digitale Resilienz fördern

    Zeig, wie man Fake News erkennt, Mobbing erkennt oder motiviere zur „digitalen Diät“, zur „Handy-Fastenkur“. Medienkompetenz ist sowieso Berufsreife.

  6. Zukunftsängste in Stärken verwandeln

    Wer sich sorgt, fühlt mit. Das sind oft Menschen mit hoher sozialer Intelligenz – ein riesiges Potenzial für soziale, nachhaltige und gestaltende Berufe.

  7. Peer-Elemente nutzen

    Lade junge Role-Models ein („Sinnfluencer“), mach Gruppenberatungen oder gestalte Mini-Workshops mit „Ehemaligen“. Das gibt Mut. Aber bitte keine „Verdiene-fünfstellig-in-einem-Monat-ohne-Fachkenntnisse-Influencer“.

  8. Mut zur Pause

    Manchmal ist eine Beratung ohne Berufsentscheidung mehr wert als eine mit falscher Entscheidung. Kein Plan ist manchmal für eine Weile der bessere Plan (siehe meinen Artikel vom 18. Juni 2025).

  9. Nichts schönreden

    Ja, die Lage ist schwierig. Sag das auch. Aber zeig auch Möglichkeiten. Ehrlichkeit schafft Vertrauen.

  10. Humor ist nicht nur erlaubt!

    Wer lacht, kann denken. Und denken ist der Anfang von allem. Auch von Entscheidungen. Bitte den Humor nicht vergessen! Wir wissen ja, Humor ist, wenn man trotzdem lacht.


Kurzes Fazit:

Wenn wir die Ängste unserer jungen Klientinnen und Klienten ernst nehmen, lenken wir nicht vom Wesentlichen ab, machen nicht weniger, sondern mehr und bessere Berufsorientierung und Karriereplanung.Nur wer sich sicher fühlt und wenigstens ein bisschen zuversichtlich ist, kann gute, tragfähige Entscheidungen treffen. Wir beraten keine Lebensläufe, sondern Menschen.Und Sorgen gehören nun mal dazu – besonders in dieser Zeit.

 

Haben Sie Erfahrung mit diesen Themen? Bitte gerne in die Kommentare schreiben.

Ihr

Thomas von Krafft

 

Quellen:

  • Simon Schnetzer & Uni Potsdam: Trendstudie „Jugend in Deutschland 2025“

  • UNICEF & SINUS-Institut: Jugendbefragung 2025

  • Shell Jugendstudie 2024

  • BARMER/Sinus Cybermobbing-Studie

  • PISA-Sonderbericht 2025

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